Delmenhorst: Bürger lassen sich nicht mehr beschwichtigen
Quelle: Weserkurier, 24.02.2002
Bedenken der Bürger nicht ausgeräumt
Info-Abend zum Mobilfunk von Emotionen geprägt
Von unserer Mitarbeiterin Kerstin Spanke
Delmenhorst. „Wir sind die Versuchskaninchen!
Wir müssen in zehn Jahren mit den Schäden leben, weil es der
Politik nur um Profit geht!' In deutlichen Worten formulierte eine 70-jährige
Bürgerin ihre Kritik am Aufbau weiterer Mobilfunktürme und erhielt
dafür auf der städtischen Informationsveranstaltung zum Thema
Entwicklung des Delmenhorster Mobilfunks viel Applaus aus den Reihen der
zahlreich erschienenen besorgten Bürger.
Wie tief die Angst vor möglichen
gesundheitlichen Schäden durch die elektromagnetischen Strahlungen
der Mobilfunktürme sitzt, das machten auf der Veranstaltung zahlreiche
weitere Statements von Bürgerseite deutlich.
Immer wieder wurden Vorwürfe
laut, dass von offizieller Seite das Thema verharmlost werde. An diesen
Eindrücken konnten auch die Referate von Dr. Hauke Brüggemeyer
vom Niedersächsichen Landesamt für Ökologie und von Prof.
Dr. Adolf Winddorf vom Landesgesundheitssamt nicht viel ändern. Im
Gegenteil: Ihre Worte sorgten nur für weiteren emotionalen Zündstoff.
Auf die Dauer kommt es an
Brüggemeyer, der den Zuhörern
die physikalischen Grundlagen im Bereich der elektromagnetischen Felder
erklären wollte, musste sich den kritischen Fragen der Bürger
stellen.
Hatte er in seinen Ausführungen
darauf aufmerksam gemacht, dass die Strahlung eines Mobilfunkturmes in
ihre Intensität im Vergleich mit anderen Quellen wie Babyphonen oder
Mikrowellen geringer sei, musste er sich nun die Frage stellen lassen,
ob es nicht ein Unterschied sei, der nur wenigen Minuten dauernden Mikrowellen-Strahlung
ausgesetzt zu sein oder der 24-Stunden-Strahlung eines Sendemastes.
Durch Brüggemeyers Strahlungsbeispiel
eines Mobilfunkmastes wurden Zweifel an der 100-Meter-Schutzzone laut,
mit der die Stadt Delmenhorst so genannte sensible Orte wie Schulen oder
Kindergärten vor möglichen Strahlungen schützen will. „Wenn
wie in Ihrem Beispiel die Strahlung erst nach 100 Metern auf den Boden
trifft, was soll dann eine Schutzzone von 100 Metern?', fragte ein Bürger.
„Na wenigsten haben dann die Schüler den besten Empfang!'
Wenig über Folgen bekannt
Emotional nicht weniger aufgeladen
waren die Anmerkungen des Publikums zum Referat von Professor Dr. Adolf
Windorfer, der versuchte, den aktuellen Wissensstand über mögliche
gesundheitliche Schäden darzustellen.
„Wir wissen noch fast nichts über
die Auswirkungen', lautete das Fazit des Experten. „Dass bisher nichts
gefunden worden ist, bedeutetet aber nicht, das es keine längerfristigen
Schäden geben kann.' Bisher habe man nur herausgefunden, dass sich
mögliche Veränderungen im Gehirn abzeichnen könnten, was
aber nur im Tierversuch festgestellt worden sei.
Solche Gehirnveränderungen
entstehen aber auch durch klimatische Veränderungen, wie etwa durch
'den bekannten Münchener Föhn' auch Migräne verursacht werden
könne, machte Windorfer deutlich. Mit Langzeitstudien müsse nach
den Auswirkungen der Strahlung geforscht werden.
Viele der anwesenden Bürger
in der Delmeburg sahen in dieser Darstellungsweise eine Verharmlosung.
„Bei den Atomkraftwerken hat man jahrelang auch behauptet, die führen
nicht zu gesundheitlichen Schäden', stellte ein Bürger einen
Vergleich auf, der von Windorfer lapidar als „Unsinn' abgetan wurde. Andere
Bürger wiederum machten auf bereits bestehende Forschungsergebnisse
und Einzelfälle aufmerksam, die sehr wohl Schädigungen nachgewiesen
hätten. Für Windorfer sind solche Studien und Fälle allerdings
nicht aussagekräftig, da sie sich in Wiederholungsversuchen nicht
bestätigt hätten.
Viele kritische Fragen
Immer wieder ermahnte Moderator
Rainer Quentin, mit beschwichtigenden Worten dazu, eine Diskussion zu führen;
„die nicht von Verharmlosung oder Panik geprägt ist'. Das änderte
aber nichts an den kritischen Fragen und Bemerkungen, denen sich sowohl
Karl-Heinz Rönkers von der Bundesregulierungsbehörde und auch
Baudezernent Klaus Keller und der Leiter des Bauordnungsamtes, Manfred
Matz, stellen mussten.
Keller und Matz übernahmen
die Vorstellung des Delmenhorster Mobilfunkkatasters, auf dem, wie berichtet,
alle derzeitigen und geplanten Mobilfunkanlagen sowie die „sensiblen Bereiche'
verzeichnet sind. Kellers Feststellung, dass 73 Prozent der Delmenhorster
ein Mobilfunktelefon haben und damit Delmenhorst drei Prozent über
dem Bundesdurchschnitt liege, konnte die zum Teil sehr erregten Bürger
nicht bremsen. „Wir haben versucht, dem Vorsorgegedanken Rechnung zu tragen',
verteidigte Keller das Kataster und Matz macht deutlich, dass es sich bei
der Planung der Karte um einen dynamischen Prozess handele: „Es wird immer
noch weitere Veränderungen geben.'
Die einzige, die sich an diesem
Abend nicht der Kritik der Bürger auszusetzen hatte, war die Delmenhorster
Agenda-Beauftragte Eva Sassen. Sie hatte im Vorfeld die Meinungen der Bürger
gesammelt und daraus Positionen gebildet, die sie als fiktive Statements
dreier Bürger vortrug.
Ihr mit viel Applaus versehener
Auftritt machte das Manko der städtischen Veranstaltung deutlich:
Die Agenda-Beauftragte war die einzige Vertreterin der Bürgerbedenken
im Plenum. Den Stimmen der Gegenseite war dagegen mehr Platz eingeräumt
worden.
Erwartungen nicht erfüllt
So war den Gesichtern vieler Bürger
nach der Veranstaltung zu entnehmen, dass das von Oberbürgermeister
Carsten Schwettmann formulierte Ziel, den Bürgern zu ihrer bisherigen
Wissensbasis weitere Information zu liefern, an diesem Abend nicht erfüllt
wurde
Nächste Demo: Nürnberg, 11.3., 14.30 Uhr, vor dem VIAG-Interkom-Gebäude, Südwestpark 38
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