Quelle
http://www.presse.uni-oldenburg.de/mit/2014/173.html
Internationale Studie in „Nature“ erschienen
Oldenburg. Elektrosmog hat unterhalb bestimmter Grenzwerte keine Auswirkungen
auf biologische Prozesse oder gar auf die menschliche Gesundheit –
das galt bisher als Stand der Wissenschaft. Erstmals konnte nun ein
Forscherteam um Prof. Dr. Henrik Mouritsen, Biologe und Lichtenberg-Professor
an der Universität Oldenburg, nachweisen: Der Magnetkompass von Rotkehlchen
versagt komplett, sobald elektromagnetische Störungen im Mittelwellenbereich
auf die Vögel einwirken – selbst wenn die Signale nur ein Tausendstel des von der
Weltgesundheitsorganisation (WHO) als unbedenklich eingestuften Grenzwerts betragen.
Die von den neun Oldenburger Wissenschaftlern gemeinsam mit Prof. Dr. Peter J. Hore
von der University of Oxford (Großbritannien) durchgeführten langjährigen Forschungen
sind jetzt unter dem Titel „Anthropogenic electromagnetic noise disrupts magnetic
compass orientation in a migratory bird“ (Von Menschen verursachtes elektromagnetisches
Rauschen stört die Magnetkompass-Orientierung von Zugvögeln) in der aktuellen Ausgabe
der renommierten englischsprachigen Fachzeitschrift Nature erschienen.
Nature unterstreicht die Bedeutung der Studie, indem sie sie zum Titelthema der
Ausgabe vom 15. Mai macht.
„Wir konnten mit unseren Versuchen einen eindeutigen und reproduzierbaren Effekt
menschlich verursachter elektromagnetischer Felder auf ein Wirbeltier dokumentieren.
Diese Störungen stammen nicht von Stromleitungen oder Mobilfunknetzen“, betont Mouritsen.
Das elektromagnetische Rauschen im Frequenzbereich zwei Kilohertz bis fünf Megahertz
stamme im Wesentlichen von Elektrogeräten. „Die Auswirkungen der schwachen
elektromagnetischen Felder sind bemerkenswert: Sie stören die Funktion eines
gesamten sensorischen Systems bei einem gesunden höheren Wirbeltier.“
Am Anfang stand der Zufall: Seit etwa fünfzig Jahren ist bekannt, dass Zugvögel
das Magnetfeld der Erde nutzen, um im Frühjahr und Herbst ihre Zugrichtung zu
bestimmen. Biologen konnten dies in zahlreichen Experimenten nachweisen, bei
denen sie die Navigationsfähigkeiten der Vögel in so genannten Orientierungskäfigen
untersuchten. „Wir waren daher überrascht, als wir bei unseren Versuchen feststellten,
dass Rotkehlchen in Holzhütten auf dem Campus der Universität Oldenburg nicht ihren
Magnetkompass nutzen konnten“, erklärt Mouritsen.
Dr. Nils-Lasse Schneider, Elektrophysiologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter
in Mouritsens Arbeitsgruppe, hatte die zündende Idee: Er schlug vor,
die Versuchshütten und damit auch die Orientierungskäfige mit geerdeten
Aluminiumplatten abzuschirmen. Die Abschirmung ließ das für die Navigation der
Vögel entscheidende statische Magnetfeld der Erde unberührt, dämpfte aber das
zeitabhängige elektromagnetische Rauschen – den Elektrosmog – innerhalb der Hütten.
Die Wirkung war verblüffend: Die Vögel hatten plötzlich keine Probleme mehr, sich
zu orientierten, und fanden ihre Zugrichtung. „Unsere Messungen der Störungen
deuteten darauf hin, dass wir per Zufall ein biologisches System entdeckt hatten,
das empfindlich auf vom Menschen verursachten Elektrosmog im Frequenzbereich bis
zu fünf Megahertz reagiert“, sagt Mouritsen. Überraschend dabei sei gewesen:
Die Intensität der Störungen lag weit unter den Grenzwerten der Internationalen
Kommission für den Schutz vor nichtionisierender Strahlung (ICNIRP) und der WHO,
so der Biologe.
Den beobachteten Effekt sicher zu beweisen, war für Mouritsen und sein Team
eine große Herausforderung: „Wir haben bewusst über sieben Jahre hinweg zahlreiche
Experimente durchgeführt und belastbare Beweise gesammelt, um vollkommen sicher zu
gehen, dass es den Effekt tatsächlich gibt.“ So führten seine Doktoranden unter
Leitung von Svenja Engels zahlreiche so genannte Doppelblindversuche durch.
Mehrere Generationen von Studierenden wiederholten auf dem Oldenburger Campus
unabhängig voneinander die Experimente. Dabei zeigte sich: Sobald die Erdung
entfernt wurde oder das elektromagnetische Breitbandrauschen absichtlich innerhalb
der abgeschirmten und geerdeten Holzhütten erzeugt wurde, büßten die Vögel
ihre Fähigkeit zur magnetischen Orientierung wieder ein.
Die Wissenschaftler konnten zudem nachweisen: Die Störeffekte werden durch
elektromagnetische Felder hervorgerufen, die einen viel breiteren Frequenzbereich
in einer weit geringeren Intensität abdecken, als frühere Untersuchungen vermuten
ließen. Dieses elektromagnetische Breitband-Rauschen ist im urbanen
Umfeld allgegenwärtig. Es entsteht überall dort, wo Menschen elektrische Geräte
benutzen. Erwartungsgemäß ist es in ländlicher Umgebung deutlich schwächer.
Und tatsächlich: Anders als auf dem Campus der Universität funktionierte
der Magnetkompass der Rotkehlchen in Orientierungskäfigen,
die ein bis zwei Kilometer vor den Toren der Stadt aufgestellt wurden,
auch ohne Abschirmung und Erdung. „Natürlich sind die Auswirkungen
des Elektrosmogs auf den Vogelzug somit lokal begrenzt. Dennoch sollten
uns diese Ergebnisse zu denken geben – sowohl was die Überlebenschancen
der Zugvögel als auch was mögliche Effekte für den Menschen angeht,
die es noch zu untersuchen gilt“, so Mouritsen.
Zur Person
Prof. Dr. Henrik Mouritsen forscht und lehrt seit 2002
an der Universität Oldenburg, wo er sich 2005 habilitierte.
Seit 2007 ist der dänische Biologe Inhaber einer Lichtenberg-Professur
der VolkswagenStiftung.
Mit der Initiative „Lichtenberg-Professuren“ fördert die Stiftung herausragende
Wissenschaftler in innovativen Lehr- und Forschungsfeldern.
In seiner Forschung widmet sich Mouritsen den verhaltensbiologischen,
molekularen, physiologischen und kognitiven Mechanismen,
die der Langstreckennavigation von Zugvögeln zugrunde liegen.
Als Leiter der internationalen Nachwuchsgruppe „Neurosensorik/Animal Navigation“
konnte er nachweisen, dass die Vögel auf zweierlei Weise
das Erdmagnetfeld zur Orientierung nutzen. Über lichtempfindliche
Moleküle im Auge nehmen sie die Kompass-Richtung des Magnetfelds
visuell wahr. Zusätzlich verfügen die Vögel über einen Magnetsensor
im oberen Teil ihres Schnabels, der über Nervenbahnen mit dem Hirnstamm
verbunden ist. Für beide Orientierungssysteme identifizierte die Gruppe
um Mouritsen erstmals die beteiligten Areale im Hirn der Vögel.
„Anthropogenic electromagnetic noise disrupts magnetic compass
orientation in a migratory bird” by Svenja Engels, Nils-Lasse Schneider,
Nele Lefeldt, Christine Maira Hein, Manuela Zapka, Andreas Michalik,
Dana Elbers, Achim Kittel, P.J. Hore, Henrik Mouritsen, Nature.
Ein Videointerview mit Prof. Dr. Henrik Mouritsen zu diesem Thema finden Sie unter
http://youtu.be/V88jQKUyPEs
Kontakt:
Prof. Dr. Henrik Mouritsen, Institut für Biologie, Universität Oldenburg,
Tel.: 0441/798-3081,
Mobil: 0151/56313360,
E-Mail: henrik.mouritsen(Klammeraffe)uni-oldenburg.de
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