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Grenzenlose Abhörmöglichkeiten durch Mobilfunk

Quelle: Financial Times Deutschland, 17.05.2002

Lauschangriff - Der Staat hört mit

Von Matthias Ruch, Hamburg

Das Überwachen von Telefonaten nimmt in Deutschland mittlerweile bedrohliche Ausmaße an. Seit den Terroranschlägen erfüllt der Gesetzgeber den Ermittlern fast jeden Wunsch. Am Freitag beschließt der Bundestag weitere Eingriffsrechte. Datenschützer sind machtlos.

Endlich spricht Joachim Jacob aus, was andere Datenschützer seit Jahren fordern: "So kann es nicht weitergehen!" Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz ruft die Behörden dringend dazu auf, sich beim Abhören privater Telefonate zurückzuhalten.

Anlass der Aufregung ist der erneute Anstieg der staatlichen Überwachung. Um satte 25 Prozent hat die Zahl der belauschten Anschlüsse im vergangenen Jahr zugenommen.

Die Anordnungen zur Überwachung der Telekommunikation (TKÜ) beliefen sich im Jahr 2001 auf 19.896, 1995 waren es noch 3667. Da die Überwachung eines Anschlusses in vielen Fällen über drei Monate läuft und sämtliche Verbindungen umfasst, gehen Experten von über einer Million Betroffenen aus. Wie viele von ihnen im Nachhinein über den Eingriff aufgeklärt wurden, ist ungewiss.

Besonders viel abgehört wird in Hamburg. Die Behörden der Hansestadt verweigern jeden Kommentar und berufen sich auf "höherrangige Staatsinteressen".

Mit jeder technischen Innovation zieht sich auch das Netz an staatlicher Überwachung enger. Die Ermittlungsmöglichkeiten werden ständig erweitert, mit einiger Verzögerung auch rechtlich. Gespräche, SMS-Nachrichten und Verbindungsdaten lassen sich lückenlos mitschneiden, abfangen und auswerten. Deutschland - auf dem Weg zum Überwachungsstaat?

Grenzenlose Möglichkeiten

"Die heutige Praxis der Telefonüberwachung verheißt für die Zukunft des Datenschutzes nichts Gutes", warnt Edda Weßlau, Professorin am Bremer Institut für Kriminalpolitik. Das klassische Abhören von Telefongesprächen im Festnetz spielt bald nur noch eine Nebenrolle, Mobilfunk- und Internetkommunikation dagegen versprechen fast grenzenlose Möglichkeiten.

Etwa 100 Millionen Anschlüsse sind in Deutschland registriert, mehr als die Hälfte im Mobilfunk - ergiebige Quellen. Jede TKÜ ist ein schwerer Eingriff in das grundrechtlich geschützte Fernmeldegeheimnis. Doch das wird im Eifer der Ermittlungen zunehmend übersehen. "Der Grenzverlauf zwischen dem Rechts- und dem Präventionsstaat lässt sich nicht eindeutig markieren", sagt Jutta Limbach, bis vor kurzem Präsidentin des Verfassungsgerichts, "es gibt allemal Grauzonen und schleichende Übergänge zum Polizeistaat."

Seit der Einführung des Paragrafen 100a Strafprozessordnung (StPO) 1968 sind die Zugriffsmöglichkeiten der Ermittler kontinuierlich gestiegen. Bereits 1984 warnte das Bundesverfassungsgericht davor, allzu leichtfertig das Grundrecht einzuschränken.

"Die Regierung nutzt die gestiegene Terrorangst nach dem 11. September, um Eingriffsrechte durchzusetzen, die sich die Sicherheitsbehörden schon lange wünschen", sagt Verfassungsrechtler Johann Bizer von der Goethe-Universität in Frankfurt, "die Telekommunikation soll von den Ermittlern als sprudelnde Datenquelle angezapft werden." Niemand wisse, welche Befugnisse wie umfangreich genutzt werden. "Wir leisten uns damit ein Ausmaß an Unwissenheit, das verfassungsrechtlich ein erhebliches Problem darstellt", klagt Bizer.

Umstrittener Paragraf

Besonders umstritten ist der neue Paragraf 100g StPO, der zunächst nur bis Ende 2004 gilt. Er berechtigt die Strafverfolger so genannte Verbindungsdaten bei Telefonkonzernen und Netzbetreibern abzufragen. Diese Datensätze geben nicht nur Aufschluss über den Zeitpunkt der geführten Telefonate und die Rufnummer des Gesprächspartners. Bei Handys wird als "nützliches Nebenprodukt" auch die Funkzelle mitgeliefert, in der sich der Betroffene während des Anrufs befindet.

Ermittelt wird diese Zelle durch den Funkmast, über den das Gespräch vom Mobiltelefon ins Netz geht. Der Radius dieser Masten beträgt in Städten nur wenige Hundert Meter. So können die Ermittler detaillierte Bewegungsprofile der Zielpersonen erstellen.

Kaum ein Handynutzer ist sich dieser Praktiken bewusst. Dabei beschränkt sich das Eingriffsrecht der Ermittler keineswegs nur auf potenzielle Straftäter. Die Netzbetreiber müssen auch Verbindungsdaten unbeteiligter Dritter herausgeben, wenn sich Polizei und Staatsanwaltschaft davon Erkenntnisse versprechen. So wurde zum Beispiel der Ex-Terroristen Hans-Joachim Klein durch die Auswertung der Telefondaten einer Journalistin aufgespürt.

Bislang durften die Ermittler lediglich solche Daten abfragen, die bereits im Großrechner der Mobilfunkunternehmen gespeichert waren. Die Herausgabe zukünftiger Verbindungen durften sie dagegen nach den Urteilen zweier Oberlandesgerichte dagegen nicht verlangen.

Die Urteile hat der Gesetzgeber inzwischen ausgehebelt. Im Januar trat die letzte Verschärfung der Strafprozessordnung in Kraft. Seither dürfen die Behörden gleich für drei Monate im Voraus Verbindungsdaten einfordern.

Gegen diese Praxis gehen die betroffenen Unternehmen auf die Barrikaden. "Die Anfragen der Staatsanwaltschaften sind für uns mit erheblichen Personalkosten verbunden", klagt Michael Bock vom Netzbetreiber E-Plus. Die Düsseldorfer Firma musste zusätzliche Mitarbeiter einstellen, um die Anfragen der Staatsanwaltschaften zu bearbeiten.

Anbieter müssen Überwachungsanlagen anschaffen

Hinzu kommt, dass die Anbieter per Gesetz verpflichtet sind, Anlagen zur Telefonüberwachung "auf eigene Kosten" anzuschaffen. Diese unfreiwilligen Leistungen verursachen bei T-Mobil, Vodafone, E-Plus und O2 jährlich Ausgaben in Millionenhöhe. "Die Entwicklung geht in Richtung totaler Überwachbarkeit", sagt Bock - ein Trend, der mittelfristig das Vertrauen der Kunden gefährdet.

Einen schier unbegrenzten Zugriff gewähren die Gesetze den Behörden, wenn sie hinter Verdächtigen her sind, deren Mobilfunkdaten unbekannt sind. Hierfür steht Bundesnachrichtendienst, militärischem Abschirmdienst und Bundesgrenzschutz eine neue Wunderwaffe zur Verfügung: den so genannten IMSI-Catcher.

Der Apparat mit der Typenkennzeichnung "GA 090", der von der Münchner Spezialgerätefirma Rohde & Schwarz entwickelt wurde, steht mittlerweile auch auf der Wunschliste vieler Staatsanwälte ganz oben. Bislang war der Einsatz des IMSI-Catchers für alltägliche Ermittlungen rechtlich ausgeschlossen.

Nach Auskunft des Bundesinnenministeriums kam das Gerät, mit dem sich unbekannte Handys identifizieren und abhören lassen, bis vergangenen November erst 35-mal zum Einsatz. Inoffiziell hingegen wurde der Catcher Datenschützern zufolge bereits von der normalen Kriminalpolizei benutzt.

Der Apparat simuliert eine Funkzelle und bewirkt damit, dass alle Mobiltelefone im Umfeld ihre Daten unkodiert übermitteln. Die tatsächliche Leistungsfähigkeit des IMSI-Catchers ist unter Experten umstritten. Selbst Rohde & Schwarz gibt "aus sicherheitstechnischen Gründen" keine Auskünfte über sein Produkt.

Freigeben der Wunderwaffe

Mit der Geheimniskrämerei hat es jedoch schon bald ein Ende. Am Freitag wird der Bundestag die "Wunderwaffe" auch für den Einsatz im polizeilichen Alltag freigeben. Den Entwurf für einen neuen Paragrafen 100i in der Strafprozessordnung haben die Regierungsfraktionen gemeinsam mit der FDP am Mittwoch im Rechtsausschuss beschlossen. Die Union stimmte dem Vorhaben nicht zu - ihr ging das Vorhaben nicht weit genug.

Wenn das Gesetz anschließend den Bundesrat passiert, wird es bereits im Sommer in Kraft treten. Die Parteien wollen damit den Einsatz des Catchers "auf eine eindeutige Rechtsgrundlage stellen". Staatsanwälte sollen den Alleskönner bei "Gefahr im Verzug" ohne richterliche Genehmigung freigeben dürfen.

Susanne Rublack vom Datenschutzzentrum Schleswig-Holstein fürchtet, dass das Gerät zu illegalen Zwecken missbraucht werden könnte: Mit dieser staatlichen Legitimation werde "eine Technik salonfähig gemacht, die auch im Bereich der Wirtschaftskriminalität von hohem Interesse ist".

Der Stuttgarter Oberstaatsanwalt Krombacher hält das erweiterte Einsatzfeld des Catchers dagegen für willkommen: "Das Gerät ist für uns ein sehr nützliches Instrument. Es wird Zeit, diesen Bereich rechtlich ordentlich zu regeln - die Gesetze werden immer schlampiger."

Ob und wie sich die neuen Methoden und Eingriffsrechte in der Praxis bewähren, werden Datenschützer erst im kommenden Jahr erfahren. Spätestens dann muss die Bundesregierung im Bundesrat Bericht erstatten.

Um dieser Pflicht nachzukommen, hat die Regierung bereits vor zwei Jahren eine Studie beim Max-Planck-Institut für Strafrecht in Freiburg in Auftrag gegeben. Eigentlich hätte die Untersuchung im Sommer 2001 abgeschlossen sein sollen. Bis heute liegen keine Ergebnisse vor.

"Ich wüsste gerne, ob mit den neuen Instrumenten nennenswerte Erfolge erzielt worden sind", sagte Jutta Limbach kürzlich auf dem Deutschen Anwaltstag. Denn einen Trend betrachtet sie zunehmend mit Sorge: die "Unersättlichkeit der Sicherheitsbehörden".

Kommentar EN: Möglicherweise ist das der Grund, warum die Mobilfunktechnologie so von Staat und Behörden unterstützt wird. Grenzenlose Abhörmöglichkeiten - ideal, um festzustellen, wo sich Menschen aufhalten, was sie einkaufen, politische Gegner zu beobachten usw. Ideal zur Machterhaltung oder zum Anlegen von Käufer- und Nutzungsprofilen.

Aufruf zum Dauerprotest: http://www.elektrosmognews.de/news/aufrufzumdauerprotest.htm

Fragebogen für Betroffene (deutsch): http://www.elektrosmognews.de/news/fragebogen.htm

Internationaler Fragebogen für Betroffene: http://www.health-concerns.org/

Mailkontakt: webmaster@elektrosmognews.de

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